Bei Menschen mit Hämophilie können Blutungen bereits bei kleineren Verletzungen oder sogar spontan – also ohne erkennbare Ursache – entstehen. Meistens treten sie in den großen Gelenken auf, es können aber auch Einblutungen im Muskel oder unter der Haut vorkommen. Vor allem wiederkehrende Gelenkblutungen können sehr schmerzhaft sein und bleibende Schäden anrichten, die die Lebensqualität des Patienten mitunter stark einschränken. Damit Blutungsereignisse gar nicht erst entstehen oder zumindest frühzeitig gestoppt werden, spritzen sich Hämophilie-Patienten mehrmals die Woche den Gerinnungsfaktor in die Vene, den sie zu wenig oder gar nicht produzieren. Bei Hämophilie A ist das der Faktor XIII und bei Hämophilie B der Faktor IX.
Physiotherapie ist in jedem Stadium der Erkrankung sinnvoll
Neben der Substitutionstherapie kann auch Physiotherapie dazu beitragen, das Risiko für wiederkehrende Blutungen zu verringern und Heilungsprozesse zu unterstützen. Mithilfe physiotherapeutischer Maßnahmen lassen sich Gelenke und Muskeln stärken, was sowohl in der Prophylaxe als auch für die Behandlung einer akuten oder chronischen Gelenkblutung wichtig ist. Um die Gelenke von vornherein bestmöglich zu schützen, werden bereits in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung unter physiotherapeutischer Anleitung Koordination, Gleichgewicht, Reaktion, Stabilisation und Kraft trainiert. Auch Dehnungs- und Verkürzungstechniken sowie das Training täglicher Aktivitäten stehen auf dem Programm. Viele Übungen kann der Patient später auch mit einfachen Mitteln selbstständig zu Hause durchführen.
Individuell auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten
Physiotherapeutische Maßnahmen werden immer individuell an die Bedürfnisse des Patienten angepasst. Der Therapeut berücksichtigt dabei auch das Alter der Person und den Grad der Erkrankung. Sind Gelenke bereits geschädigt, werden als individuelle Therapieziele wahrscheinlich der Erhalt oder die Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit sowie eine Schmerzlinderung festgelegt. Erreichen kann man dies beispielsweise durch manuelle Therapie und manuelle Lymphdrainage. Selbst bei schweren Schädigungen lassen sich noch Verbesserungen erzielen. Falls notwendig, werden dem Patienten auch kompensatorische Bewegungsabläufe beigebracht.
Gelenkblutungen können zu bleibenden Schäden führen
Auch wenn der Patient medikamentös gut eingestellt und motorisch fit ist, kann es gerade bei einer schweren Hämophilie zu einem Blutungsereignis kommen. Es reicht, dass man irgendwo anstößt, stolpert oder umknickt. Manchmal ist auch kein äußerer Anlass erkennbar. Am häufigsten von Blutungen betroffen sind Sprunggelenke, Knie und Ellenbogen. Fließt Blut in den Innenraum des Gelenks, man nennt das Hämarthrose, kann es sich dort ungehindert ausbreiten. Dadurch entzündet sich zuweilen die innere Schicht der Gelenkkapsel, die Membrana synovialis. Im Fachjargon bezeichnet man das als akute Synovitis. Wird diese zu spät erkannt oder nicht ausreichend behandelt, kann sie in eine chronische Form übergehen. Durch die dauerhaft entzündete Gelenkinnenhaut nehmen Spontanblutungen zu. Der Gelenkknorpel kann geschädigt werden und durch Schonhaltung verkürzen sich Muskeln, Bänder und Sehnen. Fehlstellungen und bleibende Bewegungseinschränkungen können die Folge einer solchen hämophilen Arthropathie sein.
Schnelles und konsequentes Handeln erforderlich
Damit diese Entwicklung gar nicht erst in Gang gesetzt wird, muss eine akute Gelenkblutung – auch wenn sie nicht lebensbedrohlich ist – immer sofort behandelt werden. Eine innere Blutung macht sich für den Patienten bemerkbar, da das betroffene Gelenk
- schmerzt,
- sich erwärmt,
- anschwillt ,
- steif wird und weniger beweglich ist.
Manche Menschen spüren auch ein Kribbeln oder Ziehen im Gelenk. Hat der Patient eine Gelenkblutung bei sich festgestellt, sollte er umgehend den fehlenden Gerinnungsfaktor substituieren. Zudem darf er vom Arzt verordnete entzündungshemmende Medikamente und Schmerzmittel einnehmen. Das betroffene Körperteil versorgt er gemäß der PECH-Regel:
P (Pause): Pause einlegen und das verletzte Körperteil nicht weiter belasten.
E (Eis): Eis beziehungsweise Kälte sorgt dafür, dass sich die Blutgefäße verengen und so weniger Blut ins Gewebe austritt. Entzündungsreaktionen, Schmerzen, aber auch Schwellungen und blaue Flecke lassen sich auf diese Weise verringern. Wegen der Gefahr von Erfrierungen darf die eiskalte Kühlkompresse jedoch nicht direkt mit der Haut in Kontakt kommen. Es bietet sich an, die Kühlkompresse mit einem Handtuch zu umwickeln. Im Handel gibt es spezielle Klettbandagen die zum einen den direkten Hautkontakt der Kompresse vermeiden und zum anderen eine gelenknahe Fixierung der Kompresse ermöglichen.
C (Compression): Ein leichter Druckverband verhindert, dass sich Schwellungen und Blutergüsse weiter ausbreiten. Zudem bewirkt der Druck, dass weniger Blut zur verletzten Stelle gelangt.
H (Hochlagern): Das Gelenk wird hochgelagert – am besten über Herzhöhe, da so weniger Blut zu ihm gelangt.
Direkt nach der Akutphase einer Verletzung, die meist am zweiten Tag endet, kann mit einer physikalischen Therapie und einer funktionalen Physiotherapie begonnen werden, die Beweglichkeit, Koordination und Kraft fördert. Vor einigen Jahren hatte man Hämophilie-Patienten noch empfohlen, das Gelenk nach einer Blutung für längere Zeit zu schonen. Aufgrund des erhöhten Risikos einer dauerhaften Gelenkversteifung raten Mediziner inzwischen davon ab. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es bei einer schnellen medikamentösen und physiotherapeutischen Behandlung heutzutage nur noch selten zu schweren Langzeitschäden kommt.
Quellen:
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/086-005l_S2k_Synovitis-bei-Haemophilie_2019-07.pdf
https://www.leitlinie-synovitis.de/
https://www.dhg.de/blutungskrankheiten/begleiterkrankungen
https://www.dhg.de/behandlung/ergaenzende-behandlungsmoeglichkeiten
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