Tierische Begleiter – MS Therapeuten auf vier Beinen

Tierische Begleiter – MS Therapeuten auf vier Beinen

»Gib einem Menschen einen Hund – und seine Seele wird gesund.«

Die Universalgelehrte Hildegard von Bingen, von der dieses Zitat stammt, wusste bereits im Mittelalter, welch großer therapeutischer Nutzen von diesem wunderbaren Tier ausgeht. Mit einem Hund ist man nicht allein. Das Zusammensein mit ihm beruhigt und aktiviert zur selben Zeit. Allein durch den Körperkontakt entsteht Wärme und Geborgenheit. Irgendwo habe ich sogar gelesen, dass ein so genanntes „Kuschelhormon“ ausgeschüttet wird, das Wohlbefinden und Entspannung bewirkt. Außerdem merke ich immer wieder, wenn ich mit einem Hund zusammen bin, dass sich meine Motorik verändert. Anscheinend gehen von den lieben Vierbeinern irgendwelche Reize aus, die das Gehirn verarbeiten und umsetzen muss und dadurch „in Action“ kommt. Hunde sind treue Begleiter, sie sind Freunde, die einen nicht bewerten und einen einfach so nehmen wie man ist. Mit ihnen bleibt man in Bewegung und ist regelmäßig an der frischen Luft. Außerdem sind sie Kontakt-Magnete, denn nichts ist einfacher, als mit anderen Hundehaltern ins Gespräch zu kommen.

Rollstuhl, MS und Hund – geht das?

Aber wie realistisch ist es wirklich, mit einer Erkrankung wie MS einen Hund zu haben? In meinem Kopf springen die Gedanken hin und her, wenn ich daran denke, wie es wäre, wenn wir von heute auf morgen einen Hund hätten. Wie ist es wirklich, im Rollstuhl mit dem Hund Gassi zu gehen? Wie räume ich seine kleinen Hinterlassenschaften weg? Wie mache ich ihn sauber, wenn wir bei strömendem Regen unterwegs waren und er sich genüsslich im Matsch gewälzt hat? Muss er dann in die Badewanne? Wie soll ich ihn bloss gleichzeitig festhalten und einschäumen und abduschen? Und wie mache ich all die Haare weg, die er verliert, während er durch unsere Wohnung streunert? Wo ist er, wenn ich dreimal in der Woche zur Physiotherapie gehe? Wo ist er, wenn ich im Büro bin oder kurzfristig zum Zahnarzt muss? Wie fahre ich mit ihm in Urlaub? Woher weiß er, wo meine Schuhe stehen und dass es für mich sehr aufwändig ist, sie zu holen? Woher weiß er, dass ich wahrscheinlich umfalle, wenn er mich freudig anspringt? Wo lernt er all das? Und wie lernen wir überhaupt, wie wir richtig miteinander umgehen sollen? Woher kriege ich einen Hund, der zu mir passt? Wie kann ich sein Bedürfnis nach viel Bewegung und sportlicher Aktivität stillen? Wenn ich ein Stöckchen werfe, landet es nicht weit von mir entfernt. Keine Herausforderung für einen Hund. Der Arme. Wie soll ich das alles schaffen?

Als ich neulich einer Freundin von meinen Sorgen erzählte, schaute sie mich mit festem Blick an. „Anna!“, sagte sie. „Du kannst vielleicht nicht zu 100% mit dem Hund durch den Park rennen und seine Häufchen aufheben. Aber eins weiß ich ganz genau. Du kannst ihm zu 100% Liebe geben. Und das ist das, was zählt. Also hör jetzt bitte auf, Dich davon abzuhalten, Dir Deinen Traum zu erfüllen!“ Klare Worte.

Das mit der Liebe ist also geklärt.

Kommen wir nun zu der Beantwortung der offenen Fragen, und zwar in der richtigen Reihenfolge:

Woher kriege ich einen Hund, der zu mir passt?

Da ich ja eine Krankheit habe und Therapien aller Art mich täglich begleiten, denke ich zunächst an einen Therapiehund. Ein Therapiehund ist jedoch ein Hund, der bei verschiedenen Therapien, zum Beispiel Physiotherapie, Ergotherapie oder Psychotherapie eingesetzt wird, um den Therapieerfolg zu verbessern. Er fungiert dabei als Co-Therapeut. Vor allem in der Psychotherapie ist spätestens seit Sigmund Freud bekannt, was für eine enorme positive Wirkung die Anwesenheit eines Hundes auf den Patienten hat. Freuds Hündin hieß übrigens Jofie und war eine Chow chow-Dame. Therapiehunde haben ihr Zuhause beim jeweiligen Therapeuten, nicht beim Patienten.Ein Therapiehund ist also nicht das, was ich suche. Für mich kommt vielmehr ein Assistenzhund in Frage. Assistenzhunde sind ständige Begleiter, die bei einem Menschen leben, der eine körperliche, geistige oder seelische Einschränkung hat.

Assistenzhunde werden auch „LPF“-Hunde genannt. LPF steht für Lebenspraktische Fähigkeiten. Diese Hunde können zum Beispiel Dinge vom Boden aufheben, den Lichtschalter an- und ausmachen, den Knopf vom Aufzug betätigen, Türen öffnen und schließen, im Notfall Hilfe holen, und manchmal können sie sogar „ihrem Menschen“ die Socken anziehen. Spezialisierte Hundeausbilder trainieren Assistenzhunde individuell abgestimmt auf die Bedürfnisse des Menschen, mit dem sie später leben werden. Die Ausbildung eines Assistenzhund-Welpen dauert übrigens 18-24 Monate.

Ein Assistenzhund wäre also nicht schlecht für mich. Aber wie bekomme ich so einen Hund? Und was muss ich bezahlen, wenn ich einen solchen Begleiter haben möchte? Gibt es möglicherweise Zuschüsse von der Krankenkasse? Schließlich ist ein Assistenzhund doch auch eine Art „Hilfsmittel“, für das es eine Hilfsmittelnummer geben könnte.

Es gibt zwei Wege zum Assistenzhund: 

  • Entweder bespricht man mit einem Assistenzhunde-Trainer, welcher Welpe geeignet ist und kümmert sich selbst darum, dass das kleine Fellknäuel zu einem nach Hause kommt. Man übernimmt dann unter Anleitung des Trainers in regelmäßigen Trainingsstunden selbst die Ausbildung seines Hundes. Am Ende steht für Hund und Frauchen oder Herrchen eine gemeinsame Teamprüfung. Jede Trainingsstunde kostet ungefähr 60,- €, die Teamprüfung 300,- €. Damit das neue Team auch wirklich gut harmoniert, empfehlen Hundetrainer in der Regel mindestens 50 Stunden, aber es hängt natürlich stark von den Teampartnern ab. Hinzu kommen die Kosten für die Anschaffung des Vierbeiners.
  • Oder der Trainer hat bereits einen Hund ausgebildet. Sobald ein passender Interessent anfragt, werden individuell notwendige Assistenzleistungen zusätzlich trainiert. Nach einer mehrwöchigen individuellen Einarbeitung des neuen Gespanns gibt es dann wiederum eine gemeinsame Teamprüfung. Ein in Fremdausbildung ausgebildeter Assistenzhund kostet schätzungsweise 20.000,- bis 25.000,- €.

In beiden Fällen wäre es schön, wenn die Krankenkasse hiervon zumindest einen Teil übernehmen könnte. Leider ist das aktuell in Deutschland noch nicht so.

In einem Papier des Deutschen Bundestages von 2018 heißt es zur Begründung: „In Bezug auf den Einsatz von Hunden für die Begleitung von Menschen mit einer Behinderung ist zu unterscheiden, ob der Begleithund einem unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich dient und damit, ob er eine Funktion erfüllt, die über einen allgemeinen Beitrag zur Befriedigung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens hinausgeht. Während der Blindenführhund als unmittelbarer Behinderungsausgleich anerkannt wird, da er die Funktion des Sehens übernimmt, wird der Assistenzhund dem mittelbaren Behinderungsausgleich zugeordnet.”

Zwar ist die rechtliche Anspruchsgrundlage für die Hilfsmittelversorgung sowohl zum unmittelbaren als auch zum mittelbaren Behinderungsausgleich § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dennoch wird diese Vorschrift nur für die Kostenübernahme für die Anschaffung eines Blindenführhundes durch die gesetzliche Krankenversicherung verwendet. Für andere Assistenzhunde besteht derzeit kein Anspruch. Dies wird von der Rechtsprechung damit begründet, dass Assistenzhunde im Gegensatz zu Blindenführhunden lediglich die Folgen einer Behinderung ausgleichen. Der bloße Folgenausgleich sei jedoch kein hinreichender Beitrag zur Befriedigung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, sodass vorrangig wirtschaftlichere Alternativen in Betracht zu ziehen seien. Personen, die einen Assistenzhund in Anspruch nehmen wollen, sind daher auf eine Einzelfallprüfung der Krankenversicherung im Rahmen des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V angewiesen.“

Ok, das war jetzt sehr juristisch und kaum zu verstehen. Kurz gesagt steht in dem Papier, dass die Kosten für die Ausbildung eines Blindenführhundes übernommen werden, die Kosten für einen anderen Assistenzhund jedoch nur in Einzelfällen. Man kann also einen Antrag auf Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse stellen und hoffen, dass die eigenen Argumente die Kasse dazu bewegen, die Kosten ausnahmsweise doch zu übernehmen.

Aber es muss ja auch nicht unbedingt ein Assistenzhund sein. Auch ein ganz normaler lieber mittelgroßer Familienhund mit wenig Jagdtrieb und nicht allzu großem Bewegungsdrang, der nicht allzu viele Haare verliert, kann ein perfekter Begleiter für einen Menschen mit MS sein. Ich kenne zum Beispiel eine Züchterin in meiner Nähe, die Labradoodle züchtet und selbst im Rollstuhl unterwegs ist. Ein Labardoodle scheint also ziemlich gut zu passen, wenn man eine körperliche Einschränkung hat. Der gemeinsame Besuch einer Hundeschule hilft dann dabei, sich aufeinander einzuspielen.

Wo ist mein Hund, wenn ich im Büro oder im Urlaub bin?
Und wie kann ich ihn in den Urlaub mitnehmen?

Wenn ich im Büro, bei der Physiotherapie, im Kino, bei Freunden mit Hundehaarallergie oder in einem nur-für-Zweibeiner-Urlaub bin, kann mein Hund bei einem Hundesitter oder in einer „HuTa“, einer Hundetagesstätte, sein, zum Beispiel hier: https://www.leinentausch.de 

Und natürlich kann ich auch gemeinsam mit ihm in den Urlaub fahren. Im Internet finden sich zahlreiche hundefreundliche Hotels. Alles zum Thema Camping mit Hund gibt es zum Beispiel hier: https://camperstyle.de/thema/camping-mit-hund/

Tipps zu Flugreisen findet man etwa hier: https://www.lufthansa.com/de/de/tiere-als-handgepaeck

Und schließlich kann man alles zum Thema Hunde als Beifahrer im Auto zum Beispiel hier nachlesen: https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/ausstattung-technik-zubehoer/ladungssicherung/tier-transport-auto/

Bleiben noch die Fragen nach dem Aufheben der kleinen Hinterlassenschaften beim Gassigehen und nach der Körperpflege des Vierbeiners. Ich denke, da entwickelt jeder seine eigene Technik – so wie man ohnehin für alles Mögliche eine eigene Technik entwickelt, wenn man ein kleines oder großes Handicap hat.

Nachdem ich mir nun selbst eine Checkliste gemacht, alle Risiken abgewogen, Fragen beantwortet, Anlaufstellen gefunden und Lösungsmöglichkeiten für eventuell auftretende Problemchen entwickelt habe, denke ich, dass ich bereit bin. Bereit für einen neuen Mitbewohner. In unserer Wohnung ist auf jeden Fall Platz für drei!

Jetzt muss ich nur noch meinen Freund überzeugen!

Ihre Anna Berkel*

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