Tierische Begleiter 2.0 – MS-Therapeuten mit viel Fell

Tierische Begleiter 2.0 – MS-Therapeuten mit viel Fell

Sie ist bei uns eingezogen.

Wir haben seit vier Monaten eine neue Mitbewohnerin. Toni ist erst sehr klein gewesen und dann sehr schnell immer größer geworden. Sie ist eine hübsche Blondine mit goldenen Strähnchen in der wilden Mähne. Und mit einer schwarzen Nase und dem schönsten Hundeblick der Welt.

„Wenn eine Idee nicht zuerst absurd erscheint, taugt sie nichts.“ Selten passte ein Albert Einstein-Zitat so gut zu mir wie in diesem Fall.

Nach meinem Artikel über meinen Traum von einem eigenen Hund vor genau einem Jahr dachte ich immer noch, dass es absurd sei, einen Hund zu haben. Obwohl ich ja am Ende des Artikel ganz vollmundig verkündet hatte, dass ich nur noch meinen Freund überzeugen müsste. Das größere Problem war allerdings, dass ich mich selber noch überzeugen musste.

Wie es plötzlich ernst wurde

Als sie Anfang Dezember 2021 bei uns einzog, war Toni gerade mal acht Wochen alt.

Was zuvor geschah…

Die Züchterin, mit der ich seit etwa einem halben Jahr immer mal wieder recht unverbindlichen Telefonkontakt gehabt hatte, rief mich plötzlich Anfang Oktober an und sagte: „Die Emma ist trächtig.“

Die Emma brachte dann ein paar Wochen später fünf kleine Welpen zur Welt, von denen die Züchterin uns Fotos schickte und sinngemäß schrieb: „Herzlichen Glückwunsch. Wenn alles passt, dürfen Sie sich einen Welpen aus dem aktuellen Wurf von Emma aussuchen.“

In dem Moment, als wir die Fotos sahen, gab es schon kein Zurück mehr. Und als ich dann vier Wochen später zum Kennenlerntermin die klitzekleine Toni auf den Schoß gesetzt bekam, war es komplett um meinen Freund und mich geschehen.

Weitere vier Wochen später holten wir Toni dann ab und brachten sie zu uns nach Hause.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir heute einen Hund hätten, wenn die Züchterin uns nicht „vor vollendete Tatsachen“ gestellt hätte. Ich hätte mich einfach nicht getraut, ich hätte es mir nicht zugetraut.

Hund und Handicap

Seit dem 04.12.2021 ist Toni jedenfalls jetzt immer da. Sie ist unser Schatten. Sie schläft auf dem Boden neben unserem Bett. Sie sitzt auf dem Badezimmerteppich und schaut uns beim Zähneputzen zu. Sie liegt unter meinem Schreibtisch, wenn ich arbeite, und sie wackelt gemütlich an der Leine neben mir her, wenn wir im Park einen Spaziergang machen.

Sie gehört einfach dazu. Manchmal fällt mir ein, dass sie nicht ewig da sein wird. Dann schießen mir sofort die Tränen in die Augen, weil ich sie schon so felsenfest in mein Herz geschlossen habe.

Das hätte ich am Anfang nicht für möglich gehalten.

Die ersten Wochen flossen täglich viele viele Tränen. Ich war heillos überfordert mit dem kleinen Lebewesen.

Bis dieser Hund in mein Leben trat, hatte ich mich vor allem darum gekümmert, dass ich selbst gut durch den Tag komme, dass mein körperlicher und mentaler Zustand in Ordnung waren. Ich hatte viel auf kleinste Anzeichen meines Körpers geachtet und mich in erster Linie damit beschäftigt, allen auftretenden Wehwehchen entgegenzutreten. Ich hatte mir viel den Kopf darüber zerbrochen, ob ich mit dem Rollstuhl hierhin oder dorthin kommen kann und oft auch darüber, wie viel Pech ich doch hatte, dass grade ich so eine belastende Krankheit wie MS habe.

Ich hatte also jede Menge mit mir selbst zu tun gehabt. Damit ich „mit all meinen Einschränkungen“ den Tag schaffen konnte, hatte ich viele kleine und große Ruhephasen in den Tag eingebaut.

Jetzt hatte ich plötzlich nicht mehr so viel Zeit, um darüber nachzudenken, dass mein rechtes Bein irgendwie ein bisschen weniger stark war als noch vor zwei Jahren oder dass ich ein viel besseres Leben hätte, wenn meine Beine nur schnell laufen könnten. Ich hatte auch keine Zeit mehr für unendlich viele Ruhepausen am Tag.

Hatte ich mir vorher jede meiner Bewegungen im Vorhinein theoretisch ausgemalt, musste ich jetzt intuitiv und vor allem schnell handeln, wenn ein Häufchen auf dem Fußboden landete. Ich musste in Windeseile zur Zimmerpflanze rollen und sie festhalten, um zu verhindern, dass sie meinen kleinen Hund unter sich begrub, der grade energisch an den herunterhängenden Blättern riss.

Und ich musste mit ungeahnter Kraft und Bestimmtheit die Leine festhalten, wenn ein anderer Hund um die Ecke kam und Toni vor lauter Glück und Freude auf ihn losstürmen wollte.

Wenn mein kleines Fellknäuel dann zwischendurch vor lauter Erschöpfung eingeschlafen war, versuchte ich, ein bisschen zu arbeiten. Ich konnte mich ja nicht einfach krankmelden. Der Einzug eines Welpen ist schließlich keine Krankheit. Meist verbrachte ich die Zeit am Schreibtisch allerdings damit, dicke Tränen zu vergießen und Freundinnen anzurufen, die auch Hunde hatten. Diese versicherten mir dann, dass das alles ganz normal sei und vorübergehen würde. Aber wann denn bloß? Wann würde dieser Hund endlich stubenrein werden? Und wann würde er mal hören, wenn ich „Nein“ sagte oder „Komm“?

Abends, wenn mein Freund von der Arbeit nach Hause kam, sackte ich in der Regel völlig erschöpft auf dem Sofa zusammen und schlief ein. Die letzten Pfützen des Tages musste mein Freund dann wegwischen. Die letzten „verrückten 5 Minuten“ des Tages von Toni musste er auch allein regeln. Ich konnte einfach nicht mehr.

Wenn der Hund am nächsten Morgen wieder schwanzwedelnd neben meinem Bett stand und voller Energie in den neuen Tag starten wollte, hätte ich mich am Liebsten umgedreht und mir die Decke über den Kopf gezogen. Es war eine Schnapsidee gewesen, sich „in meinem Zustand“ einen Hund zuzulegen. Es war einfach nicht zu schaffen. Und mein Körper wurde auch immer schwächer und unbeweglicher.

Die Rettung

Ganz abgesehen von den körperlichen Herausforderungen kam die Angst, dass ich es niemals schaffen würde, diesem kleinen Tier gerecht zu werden. Es brauchte Bewegung, es brauchte jemanden, der ihm Sicherheit bot, und es brauchte Erziehung. Aber wie erzog man einen Hund?

Nach ein paar erfolglosen Versuchen, sich Unterstützung bei „herkömmlichen“ Hundetrainern zu holen, meldete sich plötzlich und endlich mein Überlebensinstinkt. Wovon hatte ich denn in meinem letzten Blog-Artikel für smart geschrieben? Ich brauchte jemanden, der mir in meiner ganz speziellen Situation Tipps gab. Ich brauchte jemanden, der sich mit der Kombi Rollstuhl und Hund auskannte. Ich brauchte jemanden, der wusste, wie man Assistenzhunde ausbildet.

Zum Glück gibt es das Internet. Bei meiner Recherche fand ich eine Trainerin, die Blindenführhunde ausbildet. Ich rief sie an, und siehe da! Sie war meine Rettung.

Sie erklärte mir, worauf es bei der Erziehung der kleinen Toni wirklich ankam. Sie zeigte mir, wie ich mein Hündchen dazu bringen konnte, ganz nah neben meinem Rollstuhl zu gehen. Sie brachte mir bei, wie ich es schaffen konnte, dass Toni mit 100 %-iger Sicherheit zu mir zurückkommt, wenn ich sie rufe.

Und vor allem gab sie mir Selbstvertrauen und Energie.

Nach jeder Hundestunde fielen Toni und ich in einen mehrstündigen seligen Schlaf und verarbeiteten den Lernstoff.

In den darauf folgenden Wochen übte ich mit meinem Hund Beifuß-Gehen, den Rückruf mit der Pfeife, Sitz und Impulskontrolle. Ich legte eine Konsequenz und Geduld an den Tag, wie ich sie noch nie zuvor bei mir erlebt hatte. Bei Wind und Wetter ging ich in den Park, um immer wieder aufs Neue mit dem kleinen Welpen zu üben.

An schwache Beine, taube Finger und die ungerechte Verteilung von Krankheiten dachte ich dabei nie.

Ich beschwerte mich auch nicht über meine Arbeit. Ich erledigte sie einfach in Tonis Schlafphasen, übrigens so effizient wie nie zuvor.

Und plötzlich nach ein paar Wochen (oder waren es doch Monate?) wurde ich im Park von anderen Hundebesitzern angesprochen. „Wie haben Sie das denn so schnell geschafft? Ihr Hund geht ja ganz lieb neben Ihnen“, hörte ich dann. Oder „Ihr Hund kommt ja sofort zu Ihnen zurück, wenn Sie ihn rufen. Das macht meiner immer noch nicht. Und der ist schon drei Jahre alt“.

Ich war so stolz. Und gleichzeitig hätte ich heulen können vor Glück, weil dieser liebe Hund und ich in so kurzer Zeit so eng aneinander gewachsen waren.

Fazit

Seit Toni Teil unseres Rudels ist, ist mein Leben irgendwie leichter geworden. Und bunter. Sie hat mir Seiten an mir gezeigt, die ich vorher nicht kannte.

Ich hatte mehrere Nervenzusammenbrüche. Und ich hatte unzählige Glücksmomente. Momente, in denen ich vor Rührung weinen musste. Momente, in denen ich vor Stolz fast geplatzt bin. Momente, in denen ich über mein eigenes „Nein!“ total verdutzt war, weil ich nicht gewusst hatte, wie streng ich sein kann. Momente, in denen ich voller Liebe und ehrlicher Bewunderung „Toll gemacht!“ geflüstert habe, wenn mein Hund fünf Meter neben mir hergegangen ist, ohne an der Leine zu ziehen. Momente, in denen ich vor Eiseskälte kaum meine Hände bewegen konnte und es trotzdem schaffte, Tonis Häufchen aufzuheben. Momente, in denen mein Herz aufging, wenn ich im Halbschlaf meinen Hund leise schnarchend neben meinem Bett liegen sah.

Die Idee, Toni ins Rudel zu holen, erschien anfangs ziemlich absurd. Aber am Ende taugte sie eine ganze Menge.

Ihre Anna Berkel*

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