Geschichte des Diabetes mellitus

Geschichte des Diabetes mellitus

Diabetes ist eine rätselhafte Erkrankung.
Die Krankheit ist nicht sehr häufig
und besteht in einem Zerfließen
des Fleisches und der Glieder zu Urin
.“

So beginnt der griechische Arzt Aretaios von Kappadokien (81 – 138 n.Chr.) seine klassische Betrachtung über den Diabetes. [1] Von der Antike bis in die Gegenwart wird von dieser Krankheit berichtet. Das medizinische Wissen hat sich seitdem deutlich erweitert, das Leiden der Patienten hat sich vermindert, aber die Erkrankung ist viel häufiger geworden.

Die Geschichte des Diabetes führt bis in die Zeit der frühen Hochkulturen zurück. Bereits die Ägypter schrieben von einer Krankheit mit übermäßigem Harnfluss und machen Therapievorschläge (Papyrus Ebers, ca. 1500 v.Chr.). Die Bezeichnung Diabetes geht wohl auf den oben zitierten Aretaios zurück und ist vom griechischen Wort für Durchfluss abgeleitet. Von Aretaios stammt die erste detailliertere Beschreibung der Symptome: unerträglicher Durst, Brand in den Eingeweiden, Abgabe hoher Urinmengen. Als Ursache des Diabetes hielt er entweder eine akute Erkrankung oder eine Magenerkrankung mit Vergiftung von Niere und Blase für möglich. Als Therapie schlägt Aretaios vor: Einläufe, bestimmte Diäten und Dampfbäder. [1]

Ein anderer berühmter griechischer Arzt, Galen von Pergamon (ca. 130 – 210 n. Chr.), sah in Diabetes ein Nierenleiden. Die Therapie hießt für Galen: Überwindung der Säfteschärfe, Verlangsamung der Blutbewegung, Kühlung der Nierenhitze. Im Mittelalter vertiefen die arabischen Ärzte die antiken theoretischen und therapeutischen Kenntnisse. So veröffentlicht der arabische Universalgelehrte Abd al-Latif al-Baghdadi (1163 – 1231) im Jahr 1225 ein ganzes Traktat über Diabetes. [2] Dagegen geht das lateinische Mittelalter kaum auf die Erkrankung ein. Mit Ausnahme von Paracelsus (1493 – 1541), der die traditionelle Verknüpfung des Diabetes mit Nieren und Magen aufgibt. Er bringt biochemische Prinzipien ins Spiel und hält Diabetes für eine entgleiste Verbindung von Sulphur (Schwefel) und Salzen im Blut. Diese würden in die Nieren übergehen, diese erhitzen und starke Urinausscheidungen hervorrufen. [1]

Hinweise auf den süßlichen Geschmack des diabetischen Harns gab es bereits in der chinesischen und indischen Medizin des 2. bis 6. nachchristlichen Jahrhunderts. Diese Kenntnisse sind allerdings nicht in die westeuropäische Medizin eingegangen. Auch Paracelsus kennt dieses Phänomen, setzt den süßlichen Harn aber nicht in Zusammenhang mit der Erkrankung. Das gelingt erst 1675 Thomas Willis (1621 – 1675), so dass es zu dem schmückenden Zusatz „mellitus“ (honigsüß) kommt. Die chemisch fundierte Analyse von Traubenzucker im Harn erfolgt allerdings erst 1838 durch Apollinaire Bouchardat (1806 – 1886). [3]

In der Neuzeit beginnt eine lebhafte empirische Forschung. Im 17., 18. und 19. Jahrhundert erscheint eine Fülle von Monographien und Aufsätzen zu Diabetes. Hierin entwickelt man eine Vielzahl theoretischer Ansätze und therapeutischer Vorschläge. 1683 entfernte Johann Conrad Brunner (1653 – 1727) Hunden die Bauchspeicheldrüse, was einen künstlichen Diabetes auslöste und zu extremem Durst und erhöhter Urinausscheidung führte; Brunner gilt als Entdecker, der für die Fettverdauung verantwortlichen Bauchspeicheldrüse und des pankreopriven Diabetes mellitus, also den durch einen Mangel an Bauchspeicherldrüsengewebe verursachten.

Im 18. Jahrhundert werden Hinweise auf den vererblichen Charakter des Diabetes publiziert. Auch die Therapie erhält im 18. Jahrhundert neue Impulse: Entscheidenden Einfluss gewinnt zum Beispiel John Rollo (gest. 1809) mit seiner Fleischdiät, die er zur Behandlung von Diabetikern 1797 vorschlägt. Im 19. Jahrhundert nimmt die Diabetesforschung mit den Arbeiten von Paul Langerhans (1847 – 1888) und vieler weiterer Forscher Fahrt auf und führt zur Einsicht in die Bedeutung der pankreatischen Zellen für den Diabetes. 1898 trägt Bernhard Naunyn (1839 – 1925) eine umfassende Theorie des Diabetes auf dem Stand des Wissens der Zeit vor. [4]

Die Entwicklung erfährt in den 1920er Jahren einen Höhepunkt, als 1921 Frederick Banting (1891 – 1941) und Charles Best (1899 – 1978) den Wirkungsstoff Insulin isolierten und dieser im Januar 1922 erstmals therapeutisch an einem Menschen eingesetzt wurde. Das Wort ,Insulin‘ wurde übrigens schon 1909 von dem Belgier Jean De Meyer (1878 – 1934) für das damals hypothetische Pankreashormon geprägt. [5] Auf diesen und vielen weiteren wissenschaftlichen Leistungen beruhen die Fortschritte der weiteren Jahrzehnte. Sie lieferten die Differenzierung in verschiedene Typen von Diabetikern, wie Typ I und Typ II, zahlreiche neue Einsichten in Ursachen und Verlauf des Diabetes und nicht zuletzt neue und verbesserte Therapie-Verfahren. Die wichtigsten Meilensteine finden Sie hier:

Meilensteine der Diabetes-Geschichte

1552 v. Chr.
Auf dem ägyptischen Ebers-Papyrus wird zum ersten Mal vermutlich, ein Symptom der Diabetes erwähnt: das häufige Urinieren.

100 n.Chr.
Der berühmte griechische Arzt Aretaios von Kappadokien prägt den Begriff „Diabetes“ und beschreibt die Symptome.

164 n.Chr.
Galen von Pergamon sieht im Diabetes ein Nierenleiden und schlägt einige Therapien vor.

1.Hälfte 16. Jhr.
Paracelsius beschreibt den Diabetes als verbreitete, ernstzunehmende Erkrankung. Verantwortlich sei eine entgleiste Verbindung von Sulphur (Schwefel) und Salzen im Blut, die in die Nieren übergehen und starke Urinausscheidungen hervorrufen.

1675
Thomas Willis entdeckt den Zusammenhang von süß schmeckendem Urin und Diabetes. Der Zusatz „mellitus“ (honigsüß) wird geprägt.

1683
Der schweizerische Arzt Johann Konrad Brunner entfernt Hunden die Bauchspeicheldrüse und entdeckt den Zusammenhang zwischen Pankreas und Diabetes.

1776
Der britische Arzt Matthew Dobson (1732 – 1784) findet eine Art braunen Zucker im Rückstand von eingedampftem Urin.

1797
Der britische Militärarzt John Rollo empfahl die erste wirksame Diät bei Diabetes – eine fett- und proteinreiche, aber kohlenhydratarme Ernährung.

Anfang 1800
Entwicklung des ersten chemischen Tests zum Nachweis von Zucker im Urin.

1838
Dem französischen Arzt, Apotheker und Chemiker Apollinaire Bouchardat gelingt die chemische Analyse von Traubenzucker im Harn.

1869
Paul Langerhans (1847 – 1888), ein deutscher Medizinstudent, entdeckt in der Bauchspeicheldrüse zwei Arten von Zellen: Die einen bilden die normale Flüssigkeit der Bauchspeicheldrüse, die anderen – später als die Langerhansschen Inseln bezeichnet – sind u.a. an der Insulinproduktion beteiligt.

1909
Für die unbekannte Substanz, die in den Inseln der Bauchspeicheldrüse produziert wird und die den Diabetikern fehlt, schlägt der Belgier Jean de Meyer den Namen „Insulin“ (vom lateinischen „insula“= Insel) vor.

1916
Dem rumänischen Physiologen Nicolae Paulescu (1869 – 1931) gelingt es zum ersten Mal Insulin aus Pankreasgewebe zu isolieren, er nennt es Pankrein. Es ist bei einem diabetischen Hund wirksam.

1922
Frederick G. Banting und Charles H. Best gelingt mit isoliertem Insulin die erste Rettung eines Diabetikers, des 13 Jahre alten Leonard Thompson. Im Juni desselben Jahres wird der fünfjährige Theodore Ryder mit Rinderinsulin behandelt. Er überlebt 70 Jahre lang. Das ist damit „die wahrscheinlich längste dokumentierte Überlebensdauer eines Diabetes-Patienten in der Medizingeschichte“ (Wikipedia).

1923
Die großtechnische Insulinproduktion beginnt in Amerika (Eli Lilly) und Europa (Farbwerke Hoechst). Das Insulin wird aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern und Schweinen gewonnen.

1932
Die britische Biochemikerin Dorothy Crowfoot Hodgkin (1910 – 1994) beginnt in Oxford mit der chemischen Analyse des Insulins. Es dauerte 35 Jahre, bis die gesamte Struktur entschlüsselt ist.

1958
Erhält der britische Biochemiker Frederick Sanger (1918-2013) den Nobelpreis für Chemie für die Aufklärung der Struktur des Insulins.

1963
Dem deutschen Chemiker Helmut Zahn (1916–2004) gelingt die weltweit erste chemische Synthese des Insulins. Wegen der über 200 Synthesestufen kann das jedoch nicht industriell genutzt werden.

1978
Gelingt erstmals die gentechnische Herstellung von Insulin.

1982
Erstmalig ist es möglich, synthetisches Humaninsulin durch gentechnisch veränderte Bakterien und Hefen in großen Mengen und ohne tierisches Ausgangsmaterial von Schwein oder Rind zu produzieren.

1985
Der erste Insulin-Pen zur vereinfachten Insulingabe kommt auf den Markt.

1990er
Seit den frühen 1990er Jahren und gehäuft nach der Jahrtausendwende sind Insulinpumpen im Einsatz. Eine Insulinpumpe gibt automatisch eine individuell einzustellende, kontinuierliche Menge an Insulin ab.

1996
Lispro, das erste schnell wirkende Insulinanalogon kommt auf den Markt. Ein Insulinanalogon (auch Kunstinsulin) ist in der Funktion dem menschlichen Insulin verwandt. Beim Insulinanalogon lassen sich Wirkgeschwindigkeit und -dauer besser steuern, was die Handhabung vereinfacht. Insulinanaloga werden gentechnisch hergestellt.

2000
Das erste langwirkende Analog-Insulin kommt auf den Markt.

Literatur Quellen:
[1] Dietrich v. Engelhardt: Diabetes in Medizin- und Kulturgeschichte: Grundzüge — Texte — Bibliographie, Springer-Verlag, Heidelberg.2013.

[2] Arslan Terzioḡlu: Beiträge zur Geschichte der türkisch-islamischen Medizin, Wissenschaft und Technik, Band 1. Isis-Verlag, 1996.
[3] Informationen zu Diabetes und Adipositas: Der Diabetes Mellitus hat eine lange Geschichte
[4] Bernhard Naunyn: Der Diabetes melitus. Hölder, 1898.
[5] Nile Collins: The Insulin Discovery: The Story of Dr Frederick Banting and Charles Best. Clean Slate Press Limited, 2007.

Weiterführende Links:
Die Zeit: Geschichte und Entwicklung des Diabetes

Diebetes-Facts.de: Die Geschichte des Diabetes Mellitus

 

COMMENTS