Die Geschichte der MS

Seit die Multiple Sklerose im 19. Jahrhundert zum ersten Mal als eigenständige Krankheit entdeckt wurde, sind unsere Kenntnisse über diese entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems dramatisch gestiegen. Sie betrifft ungefähr 2,5 Millionen Menschen weltweit und schätzungsweise 120.000 bis 200.000 in Deutschland; jährlich werden etwa 2.500 Menschen neu mit MS diagnostiziert.
Multiple Sklerose gibt es schon sehr lange. Wir haben die Geschichte der MS hier einmal zusammengefasst.
Als einer der ersten möglicherweise als MS zu identifizierende Fall von Multipler Sklerose gilt eine holländische Nonne namens Lidwina, die 1380 in Schiedam bei Rotterdam geboren wurde. Mit 16 stürzte Lidwina beim Eislaufen und entwickelte Symptome, die man heute mit der MS in Verbindung bringt: Starke Kopfschmerzen, Sehstörungen, Gangstörungen und letztlich eine Lähmung in beiden Beinen. Man vermutete damals, dass sie krank wurde, um für die Sünden anderer zu büßen. Deswegen wurde sie 1890 heiliggesprochen und ist heute die offizielle Schutzpatronin der Eisläufer und die inoffizielle der MS Kranken.
In den 1830er bis 1860er Jahren beschrieben und zeichneten einige Pathologen unabhängig voneinander viele der klinischen Details, die die MS ausmachen. So der Schotte Robert Carswell, der Franzose Jean Cruveilhier und der Schweizer Georg Rindfleisch. Keiner von ihnen erkannte allerdings, dass es sich um eine eigene Erkrankung handelt.
Auch Augustus d’Este, der Enkel des englischen Königs Georg III, hatte fast sicher MS. Man schließt das aufgrund seines Tagebuchs, das er 22 Jahre bis fast zu seinem Tod 1848 führte und in dem er Symptome beschrieb, die sehr an die MS erinnern: Sehstörungen, Schwäche, Taubheit in den Gliedern, Zittern und nächtliche Krämpfe.
Genau 20 Jahre nach d’Estes Tod beschrieb der Pariser Neurologe Jean-Martin Charcot zum ersten Mal die Krankheit und nannte sie „sclerose en plaques“. Eine von Charcots Patientinnen litt unter Zittern, undeutlicher Sprache und ungewöhnlichen Augenbewegungen. Er versuchte sie zu behandeln, aber erfolglos. Nach ihrem Tod untersuchte Charcot das Gehirn der Patientin und fand verhärtetes Narbengewebe um Nervenfasern – ein typisches Zeichen der MS. Charcot gilt zwar als Entdecker der MS, hielt die Erkrankung aber für selten. Er entwickelte die sogenannte „Charcot Triade“, auf der bis ins 20. Jahrhundert die Diagnose der MS beruhte.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Untersuchungen von MS Symptomen publiziert. Zuerst 1873 von William Moxon in England und 1878 von Edward Seguin in den Vereinigten Staaten. Viele ihrer Beobachtungen sind auch uns heute geläufig, zum Beispiel das MS häufiger bei Frauen auftritt und dass die Symptome von Patient zu Patient unterschiedlich sein können. Natürlich kannte man damals das Immunsystem noch nicht und wusste somit nicht, dass MS eine Autoimmunerkrankung ist. 1878 allerdings erforschte der französische Histologe und Pathologe Louis Ranvier das Myelin, die „Isolierschicht“ um die Nervenfasern, die bei der MS geschädigt wird.
Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckten Forscher Chemikalien, mit denen sie Nervenzellen unter dem Mikroskop sichtbar machen konnten. Damit beschrieb 1916 der schottische Arzt James Dawson die Entzündungen und Schäden am Myelin, die er in Gehirnzellen von MS Patienten unter dem Mikroskop fand. Die Zellen, die das Myelin bilden, die Oligodendrozyten, wurden 1928 identifiziert und 1943 die Zusammensetzung des Myelin.
1946 wurde in – den USA auf Initiative der New Yorkerin Sylvia Lawry, deren Bruder MS hatte, die National Multiple Sclerosis Society gegründet. Die Gesellschaft soll unter anderem die MS Forschung unterstützen. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) wurde 1952 als Zusammenschluss medizinischer Fachleute gegründet.
Während des Zweiten Weltkriegs konnten in den USA anhand der vielen Militärangehörigen die Ursachen der MS intensiv erforscht werden. 1953 kam ein großer Durchbruch in der Forschung als Watson und Crick die Doppelhelix-Struktur des Erbmaterials aufdeckte. In der Folge entstanden neue Methoden zur Untersuchung von Genen und deren Funktion und mit der Gentechnik ein Verfahren zur Manipulation von Genen. All das lieferte einen bedeutenden Wissensfortschritt nicht nur im Bereich der MS.
In den 1960er Jahren entdeckten die Wissenschaftler, dass es sich bei der MS um eine Autoimmunerkrankung handelt. Also eine Erkrankung, bei der das Immunsystem Strukturen des eigenen Körpers angreift. Das führte zum ersten Therapieversuch mit dem entzündungshemmenden und immunsuppressiven Hormon ACTH (Adrenocorticotropes Hormon).
Die Entwicklung verschiedener bildgebender Verfahren in den 1970er Jahren trug weiter zum wachsenden Kenntnisstand über die MS bei. Die ersten CT Aufnahmen (durch eine kreisförmige Anordnung von Röntgengeräten) wurden 1978 an MS Patienten durchgeführt. Auch die Magnetresonanztomographie (MRT) entstand in den siebziger Jahren und ermöglicht es den Wissenschaftlern, das lebende Gehirn sehr detailliert zu untersuchen.
in den 1980er Jahren wurden klinische Studien zu Dutzenden von neuen MS-Arzneimitteln durchgeführt. Das führte in den frühen Neunzigern zur ersten medikamentösen Langzeitbehandlung mit Interferon, welches den Verlauf der MS beeinflusste und die Schubrate reduzierte. 2010 bis heute – neue Therapieformen und Forschungsansätze
2010 kam das erste orale MS-Medikament (Fingolimod) auf den Markt. Danach noch einige weitere. Momentan sind weitere, vielversprechende Ansätze für neue Therapien in der Entwicklung. So zum Beispiel: Antikörper, Hormone und Transplantate von Stammzellen.
Wir sind noch nicht am Ende des Weges angelangt, aber es gibt Hoffnung, die MS vielleicht eines Tages heilen zu können.
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