Multiple Sklerose (MS) kann nicht nur Beine oder Arme betreffen, sondern auch das Denken. Bei MS entstehen diese Störungen durch entzündliche Prozesse und Schädigungen in jenen Hirnbereichen, die für kognitive Funktionen zuständig sind. Gegen viele der Auswirkungen lässt sich etwas tun.
Der Begriff Kognition umfasst alle geistigen Prozesse, mit denen das Gehirn Informationen aufnimmt, verarbeitet, speichert und anwendet. Dazu zählen unter anderem Fähigkeiten wie:1,2,3
Aufmerksamkeit
Gedächtnis
Konzentration
Sprache
Wahrnehmung und/oder Orientierung
Problemlösung
Planung
Eine kognitive Einschränkung bedeutet, dass einer oder mehrere dieser Bereiche nicht mehr so funktionieren wie gewohnt. Die Veränderungen können schleichend sein und im Alltag zunehmend spürbar werden – sowohl für Betroffene als auch für ihr Umfeld. Schätzungen zufolge erleben zwischen 45 und 65 Prozent aller Menschen mit MS im Verlauf der Erkrankung kognitive Beeinträchtigungen – unabhängig vom Schweregrad körperlicher Symptome oder vom klinischen Verlauf. Das heißt, es können auch Menschen mit einem milden Verlauf oder schubförmiger MS betroffen sein.3,4
Kognitive Defizite bei MS zeigen sich individuell sehr unterschiedlich. Die häufigsten kognitiven Einschränkungen betreffen folgende Bereiche:1,2,3,4
Verarbeitungsgeschwindigkeit: Informationen werden langsamer aufgenommen und verarbeitet. Das macht sich z. B. bemerkbar, wenn Gespräche schwerer nachzuvollziehen sind oder wenn mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigt werden müssen.
Aufmerksamkeit und Konzentration: Viele Menschen, die mit MS leben, berichten über Schwierigkeiten, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren, vor allem in reizreichen oder stressigen Umgebungen.
Gedächtnis: Besonders das Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis sind häufig beeinträchtigt. Das zeigt sich im Alltag etwa dadurch, dass Namen, Termine oder Gesprächsinhalte schneller vergessen werden.
Geistige Steuerungsfähigkeiten: Dazu gehört, Handlungen zu planen, Prioritäten zu setzen und flexibel auf neue Situationen zu reagieren. Ist dieser Bereich gestört, fällt es schwer, komplexe Aufgaben zu strukturieren oder Probleme lösungsorientiert anzugehen.
Orientierungssinn: Manche Menschen mit MS haben Schwierigkeiten, sich zu orientieren, Karten zu lesen oder Entfernungen einzuschätzen.
Diese Symptome können beispielsweise dazu führen, dass alltägliche Dinge wie Kochen nach Rezept, Gespräche in Gruppen oder das Verwalten von Terminen als belastend oder verwirrend erlebt werden.
Kognitive Veränderungen treten meist schleichend auf. Menschen mit MS nehmen sie oft zunächst nicht als Symptom der MS wahr. Die ärztliche Fachkraft führt zur Diagnosestellung neben dem Anamnesegespräch eine neuropsychologische Untersuchung durch. Dabei testet sie verschiedene Hirnfunktionen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Sprachvermögen. Die Tests ermöglichen zudem eine objektive Verlaufskontrolle, wenn sie regelmäßig wiederholt werden.1,2,3
Ein solches kognitives Screening sollte bereits in frühen MS-Stadien stattfinden, da Veränderungen der geistigen Fähigkeiten nicht nur bei fortgeschrittener Erkrankung auftreten.2
Es gibt derzeit keine Medikamente, die speziell gegen kognitive Störungen bei MS zugelassen sind. Dennoch kann die Behandlung der MS selbst mit medikamentösen Therapien indirekt die kognitive Entwicklung beeinflussen, was in mehreren Studien gezeigt werden konnte. Indem Entzündungen im Gehirn reduziert werden, lässt sich auch das Risiko neuer kognitiver Defizite senken.1,2,3,4
Bei den nicht-medikamentösen Therapieansätzen ist vor allem die neuropsychologische Rehabilitation zu nennen. Dazu gehören:1,2,3
Individuelles kognitives Training, etwa durch Computerprogramme oder strukturierte Übungseinheiten unter fachlicher Anleitung.
Bewegungstherapie, die nachweislich positiv auf die geistige Leistungsfähigkeit wirkt. Besonders effektiv sind Ausdauersport, Koordinationstraining oder sogar Tanzen. Das Training soll jedoch an die jeweilige körperliche Verfassung angepasst werden.
Psychologische Begleitung, die hilft, emotionale Belastungen, Ängste oder Frustration im Umgang mit kognitiven Veränderungen zu verarbeiten.
Auch integrative Programme in Rehabilitationszentren kombinieren kognitives Training mit Physiotherapie, Ergotherapie und psychologischer Unterstützung.1,4
Menschen mit kognitiven Symptomen bei MS können selbst einiges tun, um ihre geistige Fitness zu stärken und Alltagsbelastungen zu reduzieren. Diese Verhaltensweisen können helfen:1,3,4
Den Alltag strukturieren: Klare Routinen, To-do-Listen und feste Abläufe entlasten das Gehirn. Kalender-Apps, Erinnerungen oder Sprachassistenten helfen, Termine und Aufgaben im Blick zu behalten.
Zu viel Stress vermeiden: Zu viele Reize gleichzeitig überlasten das Gehirn. Planen Sie Pausen ein und ziehen Sie sich im Extremfall aus Stresssituationen zurück.
Entspannung integrieren: Achtsamkeitsübungen, Meditation oder autogenes Training können helfen, Konzentration und Gelassenheit zu fördern.
Geistig aktiv bleiben: Rätsel, Sprachübungen, Lesen oder Lernspiele fördern kognitive Prozesse. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) bietet beispielsweise auf ihrer Website unter MS Kognition kognitive Übungen an.
Viele MS-Erkrankte reagieren empfindlich auf Hitze (Uhthoff-Phänomen). Wissenschaftliche Studien bestätigen, dass bereits eine um etwa 0,5 Grad erhöhte Körpertemperatur motorische und kognitive Symptome bei MS verstärken kann. Kühle Räume, leichte Kleidung oder Kühlwesten können helfen, geistige Überforderung zu vermeiden.4,5,6
Zudem kann der Austausch mit anderen Betroffenen zum Beispiel in Selbsthilfegruppen hilfreich sein. Auch das Verständnis und die Unterstützung von Freunden und Familie ist sehr wichtig.1,3
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Text veröffentlicht am 17.09.2025
Referenzen
selpers. Kognitive Beeinträchtigungen bei MS verstehen. Stand Januar 2023. https://selpers.com/multiple-sklerose/multiple-sklerose-geist-fit-halten-kognitive-beeintraechtigungen-bei-ms-verstehen/ Abruf: 08.07.2025
Deutsches Ärzteblatt. Multiple Sklerose: Kognitive Defizite haben hohe Relevanz für den Alltag. Dtsch Arztebl 2017; 114(37) https://www.aerzteblatt.de/archiv/multiple-sklerose-kognitive-defizite-haben-hohe-relevanz-fuer-den-alltag Abruf: 08.07.2025
Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) Bundesverband e.V. Kognitive Probleme bei MS. https://www.dmsg.de/ms-kognition/kognitive_problem.html Abruf: 08.07.2025
Multiple Sklerose Gesellschaft Wien. Kognition und Multiple Sklerose. https://www.msges.at/multiple-sklerose/symptome/gedaechtnisstoerungen/ Abruf: 08.07.2025
MS Australia. MS Symptom: Heat Sensitivity. https://www.msaustralia.org.au/symptom/heat-sensitivity/ Abruf: 08.07.2025
Christogianni, A. et al. Temperature sensitivity in multiple sclerosis: An overview of its impact on sensory and cognitive symptoms. Temperature (Austin) 2018 Sep 5;5(3):208–223. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6205043/
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