PPMS – Primär progrediente MS

PPMS – Primär progrediente MS

Primär progressive Multiple Sklerose (PPMS) ist eine spezielle Form der Multiplen Sklerose, die mit chronischen Entzündungsprozessen statt einem schubweisen Verlauf einhergeht. Die fortschreitende Inflammation im zentralen Nervensystem führt, wie auch die Schübe der remittierenden MS, zu Schädigung der schützenden Myelinschicht der Nervenzellfortsätze (Demyelinisierung) und zum Verlust von Nervenzellen, also einer Neurodegeneration. PPMS zeigt sich in fortlaufender Akkumulation von Beeinträchtigungen.  

PPMS: Graduell fortschreitende statt schubweiser Multiplen Sklerose

Besonders typisch für die PPMS ist die Schädigung des Rückenmarks, die sich auch in häufigen ersten Symptomen wie zunehmende Schwierigkeiten beim Gehen oder Problemen mit Blase und Darm bemerkbar macht. Während die schubförmige MS meist bei jungen Erwachsenen zuerst in Erscheinung tritt, scheint die PPMS häufiger erst in höherem Alter aufzutreten.1 So fand man in Kohortenstudien diese Form der MS nur selten bei jüngeren, pädiatrischen Patienten (zwischen 0 % und 7 %).2 Insgesamt könnten allerdings 10 – 15 % der MS-Patienten, ähnlich häufig Männer und Frauen (im Gegensatz zur schubförmigen MS, bei der mehr Frauen betroffen sind), an der PPMS leiden.3,4

Verlauf der PPMS individuell kaum vorhersagbar

Eine Untersuchung in Argentinien analysierte den Verlauf der PPMS anhand von 253 Patienten. Im Durchschnitt erreichten die Betroffenen innerhalb von 24 Monaten einen EDSS-Wert (Expanded Disability Status Scale) von 4, waren also noch ohne Hilfe gehfähig für eine Strecke von mindestens 500 m und konnten aktiv einen normalen Tag bestreiten. Innerhalb von 6 Jahren schritt die Erkrankung jedoch im Mittel zu einem stärkeren Behinderungsgrad fort (EDSS 7), so dass Erkrankte weitgehend an den Rollstuhl gebunden waren. Diese fortschreitende Verschlechterung der Symptome betraf Männer und Frauen gleichermaßen und war unabhängig von Patientenalter oder anfänglichem Behinderungsgrad zum Zeitpunkt der Diagnose oder der Vielfalt der Symptome. Die Studie fand somit keine Faktoren, die vorhersagen ließen, wie rasch sich die Erkrankung individuell entwickelt.3

Therapieziele in der Forschung: PPMS bremsen, Nerven reparieren, Lebensqualität fördern

Eine wirksame Therapie für die PPMS zu finden, ist demnach besonders wichtig. Aktuell gibt es verschiedene krankheitsmodifizierende Medikamente zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose, die die Zahl der Schübe reduzieren können. Diese Mittel können das Fortschreiten der Erkrankung bei der PPMS jedoch meist nicht gut aufhalten. Allerdings versteht man inzwischen die zugrundeliegenden Krankheitsprozesse besser und kann dadurch gezielt erste Therapien entwickeln, die optimal mit einer Vielzahl von Rehabilitationsmaßnahmen und der Förderung der Lebensqualität kombiniert werden sollen.5

Als zentrale Krankheitsprozesse bei der PPMS sehen Forscher:

  • Anhaltende Entzündungsprozesse im zentralen Nervensystem
  • Ungleichgewicht zwischen Schädigung, Reparatur von Nervenzellen und der sogenannten funktionellen Reserve, mit der beschrieben wird, wie viel Ausfall das Nervensystem kompensieren kann
  • Störungen in Nervenzellen und deren Signal-leitenden Fortsätzen (Axone) und Nervenzellsterben6

Bei der PPMS ist also auch wichtig, wie das zentrale Nervensystem auf die anhaltenden Schädigungen infolge der Entzündung reagiert. Es bedarf somit der Dämpfung von Entzündungsprozessen, beispielsweise durch Hemmung von Immunzellen. Eine solche Therapie gegen spezielle Immunzellen (B-Zellen) ist inzwischen zur Behandlung der PPMS zugelassen und kann die Erkrankung bei den meisten Patienten nachweislich bremsen.7 Zusätzlich werden nervenschützende und reparaturfördernde Ansätze für die PPMS entwickelt und klinisch erforscht. Solche Therapien müssten jedoch bereits in frühen Erkrankungsstadien eingesetzt werden, um den Prozess der PPMS nicht nur zu verlangsamen, sondern Schädigungen verhindern zu können.5

Eine Vielzahl von Behandlungskomponenten wird demnach aktuell entwickelt, mit Fokus auf Nervenprotektion, Anregung von Reparatur, Hemmung von entzündlichen Prozessen sowie Rehabilitation und Förderung der Lebensqualität. Erste gezielt zur Behandlung der PPMS zugelassene Therapien ermöglichen es bereits, die Erkrankung zu bremsen und stellen erste Schritte auf dem Weg zu einer wirksamen Therapie der PPMS dar.

Referenzen

1. Filippi M, Preziosa P, Barkhof F, Chard DT, De Stefano N, Fox RJ, Gasperini C, Kappos L, Montalban X, Moraal B, Reich DS, Rovira À, Toosy AT, Traboulsee A, Weinshenker BG, Zeydan B, Banwell BL, Rocca MA. Diagnosis of Progressive Multiple Sclerosis From the Imaging Perspective: A Review. JAMA Neurol. 2021 Mar 1;78(3):351-364. doi: 10.1001/jamaneurol.2020.4689. PMID: 33315071. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33315071/

2. Abdel-Mannan O, Cortese R, Wassmer E, Hemingway C, Thompson A, Brownlee W, Ciccarelli O, Hacohen Y. Primary progressive multiple sclerosis presenting under the age of 18 years: Fact or fiction? Mult Scler. 2021 Feb;27(2):309-314. doi: 10.1177/1352458520910361. Epub 2020 Mar 3. PMID: 32124676. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32124676/

3. Alonso R, Garcea O, Rojas JI, Alonso M, Lázaro L, López P, Casas M, Tkachuk V, Steinberg J, Barboza A, Martínez A, Ysrraelit C, Correale J, Marrodan M, Chertcoff A, Deri N, Miguez J, Patrucco L, Cristiano E, Pestchanker C, Silva E, Vrech C, Zanga G, Leguizamón F, Carnero Contentti E, Carra A, Mainella C, Silva BA. Evaluation of the times of disability progression and related factors in patients with primary progressive multiple sclerosis from Argentina. Mult Scler Relat Disord. 2022 Jan 2;58:103483. doi: 10.1016/j.msard.2021.103483. Epub ahead of print. PMID: 35032883. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35032883/

4. McGinley MP, Goldschmidt CH, Rae-Grant AD. Diagnosis and Treatment of Multiple Sclerosis: A Review. JAMA. 2021 Feb 23;325(8):765-779. doi: 10.1001/jama.2020.26858. Erratum in: JAMA. 2021 Jun 1;325(21):2211. PMID: 33620411. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33620411/

5. Thompson AJ, Carroll W, Ciccarelli O, et al. Charting a global research strategy for progressive MS-An international progressive MS Alliance proposal. Mult Scler. 2022;28(1):16-28. doi:10.1177/13524585211059766 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8688983/

6. Absinta M, Lassmann H, Trapp BD. Mechanisms underlying progression in multiple sclerosis. Curr Opin Neurol. 2020 Jun;33(3):277-285. doi: 10.1097/WCO.0000000000000818. PMID: 32324705; PMCID: PMC7337978. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32324705/

7. Pontieri L, Blinkenberg M, Bramow S, Papp V, Rasmussen PV, Kant M, Schäfer J, Mathiesen HK, Jensen MB, Sirakov G, Berg JM, Kopp TI, Joensen H, Sellebjerg F, Magyari M. Ocrelizumab treatment in multiple sclerosis: A Danish population-based cohort study. Eur J Neurol. 2022 Feb;29(2):496-504. doi: 10.1111/ene.15142. Epub 2021 Oct 26. PMID: 34644452. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34644452/

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