Personalisierte Medizin – individuell zugeschnittene Behandlung

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Wie personalisierte Medizin zu effektiveren Therapien führen kann
Jeder Mensch ist ein Individuum, daher zielt personalisierte Medizin darauf ab, Behandlungen und Präventionsstrategien individuell an die Merkmale jedes Menschen anzupassen. Durch die Nutzung von Technologien wie Genomanalysen können maßgeschneiderte Therapien entwickelt werden, die oft effektiver und sicherer sind als herkömmliche Behandlungen. Besonders in der Onkologie zeigt sich das Potenzial dieser Ansätze, indem sie zielgerichtete Therapien ermöglichen, die direkt auf die genetischen Besonderheiten eines Tumors abzielen. Dies kann zu besseren Behandlungsergebnissen und weniger Nebenwirkungen führen. Personalisierte Medizin bietet die Aussicht, nicht nur Krankheiten präzise zu behandeln, sondern auch das Gesundheitssystem durch präventive Maßnahmen und optimierte Medikamentenwahl zu entlasten.
Was ist personalisierte Medizin?
Personalisierte Medizin, auch als Präzisionsmedizin bekannt, hat das Ziel, medizinische Behandlungen und Vorsorgestrategien an die individuellen genetischen, biologischen und Umweltmerkmale jedes Menschen anzupassen. Dieser Ansatz nutzt beispielsweise Technologien wie Genomsequenzierung, Big-Data-Analyse und biomolekulare Diagnostik, um maßgeschneiderte Therapien zu entwickeln. Um die medizinischen Daten auszuwerten, wird häufig künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt. Dabei kommen zunehmend multimodale Datenanalysen zum Einsatz – also die Kombination unterschiedlicher Informationsquellen wie genetische Daten, Laborwerte, klinische Berichte oder bildgebende Verfahren (Radiomics). Diese Datenvielfalt bildet die Basis für präzisere Entscheidungen bei Diagnostik und Therapie.
Zu den angewandten Methoden in der personalisierten Medizin gehören:
- Genetische Analyse: Durch die Untersuchung des Erbguts (Genoms) eines Menschen können spezifische genetische Genveränderungen (Mutationen) oder Variationen identifiziert werden, die das Risiko für bestimmte Krankheiten erhöhen oder die Reaktion auf bestimmte Medikamente beeinflussen.
- Biomarker-Identifikation: Biomarker sind messbare Indikatoren im Körper, etwa bestimmte Proteine, die auf das Vorhandensein einer Krankheit oder das Ansprechen auf eine Behandlung hinweisen können.
- Zielgerichtete Therapien: Basierend auf genetischen und molekularen Informationen können spezifische Medikamente oder Behandlungsmethoden entwickelt werden, die gezielt gegen die Krankheitsursachen einer Person wirken.
- Präventive Maßnahmen: Durch das Verständnis der genetischen und umweltbedingten Risikofaktoren ist es möglich, Strategien zur Vorsorge zu entwickeln, um das Auftreten von Krankheiten zu verhindern oder zu verzögern.
- Patientenorientierte Versorgung: Die personalisierte Medizin berücksichtigt auch individuelle Lebensstile, Vorlieben und Umweltfaktoren, um eine ganzheitliche und personalisierte Betreuung zu gewährleisten.
Personalisierte Medizin in der Onkologie
Die personalisierte Medizin hat in der Krebsforschung und -behandlung erhebliche Fortschritte gemacht und wird auf vielfältige Weise eingesetzt, um die Diagnose, Behandlung und Überwachung von Krebserkrankungen zu verbessern. Durch die Genanalyse eines Tumors können zum Beispiel spezifische Mutationen oder genetische Varianten identifiziert werden, die das Wachstum und die Ausbreitung von Krebszellen antreiben. Diese Informationen helfen, gezielte Therapien zu entwickeln, die direkt auf die molekularen Veränderungen des Tumors abzielen.
Diese zielgerichteten Therapien (targeted therapies) sind Medikamente, die speziell auf bestimmte genetische Mutationen oder Proteine abzielen, die in Krebszellen überaktiv sind. Beispiele hierfür sind hemmende Proteine (Inhibitoren) zur Bekämpfung bestimmter Formen von Brust-, Lungen- und schwarzem Hautkrebs (Melanomen). Diese personalisierten Medikamente haben sich in einigen Studien als deutlich wirksamer im Vergleich zu Chemo- oder Strahlentherapie erwiesen.
Eine weitere Möglichkeit, personalisierte Medizin in der Onkologie einzusetzen, sind Immuntherapien. Sie nutzen beispielsweise die T-Zellen des Immunsystems, um Tumorzellen im Körper anzugreifen. Durch die Identifizierung spezifischer Merkmale von Krebszellen, die das Abwehrsystem erkennen kann, werden personalisierte Immuntherapien wie Checkpoint-Inhibitoren und CAR-T-Zelltherapien (CAR = chimärer Antigenrezeptor) entwickelt.
Zudem kommt die molekulare Diagnostik in der Präzisionsmedizin zum Einsatz. Sie umfasst Tests, die spezifische genetische und molekulare Marker in Krebszellen identifizieren. Diese Tests helfen bei
- der Klassifizierung von Tumoren,
- der Vorhersage des Krankheitsverlaufs und
- der Auswahl der besten Behandlungsmöglichkeiten.
Um die genetischen Daten auszuwerten und darauf abgestimmte Behandlungspläne zu erstellen, wird künstliche Intelligenz eingesetzt. Moderne KI-Modelle werten dabei nicht nur genetische Informationen aus, sondern integrieren auch klinische Parameter und Bilddaten. Auf diese Weise lassen sich Therapien noch gezielter auf das individuelle Tumorprofil abstimmen. Voraussetzung ist eine hohe Datenqualität und strukturierte Integration verschiedenster Datenquellen. Die Ergebnisse von Genanalysen und Biomarker-Tests können mithilfe von KI-Modellen zur Bestimmung der Erkrankungswahrscheinlichkeit oder des Krankheitsverlaufs genutzt werden. Anhand dessen ist es möglich, individuelle Präventionspläne zu erstellen, die die Lebensqualität der Betroffenen sichern soll.
Genetischer Medikamentenpass
Bis zu zehn Prozent der Personen mit einem bestimmten genetischen Profil weisen schwerwiegende Nebenwirkungen bei verschriebenen Medikamenten auf, die häufig eine medizinische Behandlung erfordern und sogar tödlich sein können. Ein EU-gefördertes Projekt hat die Vorteile der Verschreibung von Medikamenten basierend auf der genetischen Information der Patientinnen und Patienten demonstriert und dies erstmals in der klinischen Praxis in sieben EU-Ländern gezeigt. Ein Forschungsteam unter der Leitung des Leiden University Medical Centre (LUMC) in den Niederlanden konnte eine signifikante Reduzierung der Nebenwirkungen feststellen, wenn die Medikamentendosierung an die DNA-Merkmale der therapierten Personen angepasst wurde.
Das Forschungsteam entwickelte eine Karte, den DNA-Medikationspass, der die genetischen Daten mit den Informationen zur Medikamentenverträglichkeit verknüpft. Dieser Pass, der einen QR-Code enthält, kann von Kliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen genutzt werden, um die optimale Dosis für die Behandlung einer Person zu bestimmen – bekannt als pharmakogenetische Information. Die Studie mit fast 7000 Teilnehmenden zeigte, dass die Verwendung genetischer Informationen zur Verschreibung von Medikamenten zu 30 Prozent weniger Nebenwirkungen führte.
Durch den Einsatz des Medikamentenpasses hoffen die Forschenden unter anderem, die hohe Rate an Krankenhausaufnahmen aufgrund von Nebenwirkungen verringern zu können. Außerdem soll die personalisierte Medizin langfristig die Kosten und die Belastung der Gesundheitssysteme senken, indem vermeidbare Ausgaben für suboptimale Medikamente vermieden werden. Digitale Plattformen, die pharmakogenetische Informationen nutzen, setzen zunehmend auch synthetische Trainingsdaten ein – sogenannte digitale Zwillinge. Sie ermöglichen es, KI-Modelle auch unter strengen Datenschutzbedingungen zu entwickeln und in klinische Prozesse zu integrieren.
Fazit
Die personalisierte Medizin zielt darauf ab, die Effektivität und Sicherheit von Behandlungen zu verbessern, indem sie individuelle Therapieansätze verwendet, die auf den einzigartigen Merkmalen jedes Menschen basieren. Außerdem soll sie dazu beitragen, das Gesundheitssystem zu entlasten, indem zum Beispiel weniger Patientinnen und Patienten aufgrund von Nebenwirkungen behandelt werden müssen oder für sie ungeeignete Therapien erhalten. Bis alle Möglichkeiten der Präzisionsmedizin Einzug in die klinische Standardpraxis halten, sind noch einige Veränderungen, beispielsweise die Erneuerung der IT-Infrastruktur und die Schulung von medizinischen Fachkräften, notwendig. Zudem sind Rahmenbedingungen wie ethische Leitlinien, Standards zur Datenqualität und datenschutzkonforme Verfahren wie föderiertes Lernen erforderlich, um KI- und Big-Data-Anwendungen zuverlässig in bestehende Versorgungsstrukturen zu integrieren. Für diese Veränderungen müssen nicht nur das Fachpersonal, sondern auch die Patientinnen und Patienten sowie die Öffentlichkeit miteinbezogen werden, um die Akzeptanz der neuen Technologien zu erhöhen.
Veröffentlicht am: 11.08.2024
Quellen
[1] Healthcare digital. Technologie macht Medizin persönlicher. Stand: 31.03.2024 https://www.healthcare-digital.de/technologie-macht-medizin-persoenlicher-a-f1aa61e8feaae150d8c46eb7407fee28/?p=1
[2] Healthcare digital. Erstes Zentrum für Personalisierte Onkologie in Rheinland-Pfalz. Stand: 14.02.2024 https://www.healthcare-digital.de/erstes-zentrum-fuer-personalisierte-onkologie-in-rheinland-pfalz-a-e0739756e10d2dbc64bc172292a892d1/?cflt=rel
[3] Bozic I. et al. Dynamics of targeted cancer therapy. Trends Mol Med. 2012;18(6):311-316. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3372676/
[4] European Commission. Groundbreaking research demonstrates the power of using personalised approaches to select and correctly apply pharmaceuticals to patients. Stand: 03.02.2023 https://research-and-innovation.ec.europa.eu/news/all-research-and-innovation-news/groundbreaking-research-demonstrates-power-using-personalised-approaches-select-and-correctly-apply-2023-02-03_en
[5] Ärzteblatt. Präzisionsmedizin: Chancen und Risiken im Blick. Dtsch Arztebl 2020; 117(22-23): A-1155 / B-976https://www.aerzteblatt.de/archiv/214248/Praezisionsmedizin-Chancen-und-Risiken-im-Blick
[6] Healthcare Digital Big Data und KI in der Präzisionsmedizin https://www.healthcare-digital.de/big-data-und-ki-in-der-praezisionsmedizin-a-845e1401dbf809caeefe43e1daaeb482/
[7] Healthcare Digital Personalisierte Behandlungen mit Hilfe von KI entwickeln https://www.healthcare-digital.de/personalisierte-behandlungen-mit-hilfe-von-ki-entwickeln-a-1c4a891600799d56c0e1498c53ce456d/
[8] Healthcare Digital Patient-Trial-Matching und KI: eine App für klinische Studien https://www.healthcare-digital.de/patient-trial-matching-und-ki-eine-app-fuer-klinische-studien-a-84214b59217c216b0a9de720d3291cdf/
[9] Healthcare Digital Welche Rollen spielen KI-Trainingsdaten https://www.healthcare-digital.de/welche-rolle-spielen-ki-trainingsdaten-a-a52560e4250a0773cc9e8edec3b50eea/
[10] Digital Business Präzisionsmedizin Personalisierte Gesundheitsversorgung: Die Zukunft gehört der KI https://www.digitalbusiness-magazin.de/persoanlisierte-gesundheitsversorgung-zukunft-kuenstliche-intelligenz-a-a28e0e1b2282b9468795efcd52e97258/