Diskriminierung und Stigmatisierung bei HIV

Diskriminierung und Stigmatisierung bei HIV

Von einer HIV-Infektion zu erfahren, ist erst einmal sehr belastend – da hilft es, sich mit vertrauten Menschen besprechen zu können. Wir erklären, weshalb Betroffene häufig zögern, ihre Infektion Freunden und Familie mitzuteilen, wie sehr die Lebensqualität durch Sorgen vor Ausgrenzung beeinträchtigt wird und warum auch der behandelnde Arzt beim Umgang mit Stigmatisierung durch HIV helfen kann.

Eine HIV-Infektion ist für Betroffene durch die damit verbundenen Ängste eine große Belastung, über die man erst einmal reden möchte. Allerdings sorgen sich Menschen mit HIV nicht selten, im Freundes- oder Familienkreis ausgegrenzt zu werden. Diese Ausgrenzung von Menschen mit HIV und Vorurteile gegenüber HIV-positiven Menschen bezeichnet man als soziale Stigmatisierung. Soziales Stigma ist jedoch inzwischen eher in Entwicklungsländern als in westlichen Ländern ein Problem, schlossen Autoren einer spanischen Übersichtsstudie über 27 Studien.1

Eine Befragung von 505 Menschen mit HIV in Belgien war dagegen weniger optimistisch und zeigte, dass die Stigmatisierung HIV-positiver Menschen auch bei uns eine Rolle spielt. 26 % der Studienteilnehmer litten an einer Depression, 43 % berichteten von schwacher sozialer Unterstützung. 49 % der Menschen glaubten, HIV-bedingt abgelehnt zu werden, 65 % hatten bereits Diskriminierungen aufgrund von HIV erlebt. Bei 40 % der Teilnehmer belastete dies die Zufriedenheit im Leben.

Aber wie kann man mit einem HIV-Stigma umgehen? Die Befragten in Belgien berichteten häufig von ungeahnten Stärken und entwickelten eigene Strategien zum positiven Umgang mit Stigma und Selbstbild.2 Wesentlich ist, so die Autoren der spanischen Studie, dass das Verbergen der HIV-Infektion meist zusätzlich belastet. Wird dagegen offen über die HIV-Infektion mit engen Freunden oder Vertrauten in der Familie gesprochen, fühlen sich die meisten Patienten befreit und akzeptiert, mit positiven Effekten auch auf die Lebensqualität.1

Die HIV-Infektion verbergen belastet, Offenheit mit Vertrauten steigert Akzeptanz und Lebensqualität

Neben dem sozialen Stigma kennt man auch das Selbst-Stigma, bei dem HIV-positive Menschen zum Beispiel unter Ängsten leiden, andere Menschen anzustecken und sich als schuldig und weniger wert empfinden. Schuldgefühle und teils übertriebene Hygienemaßnahmen können in der Folge in die soziale Isolation führen. Tatsächlich gilt jedoch das U=U-Prinzip (undetectable = untransmissible): Bei einer dauerhaften antiretroviralen Therapie (ART), durch die die Viruslast stabil unter der Nachweisgrenze bleibt, besteht kein HIV-Übertragungsrisiko.. Bei werdenden Müttern mit HIV kann zudem die Ansteckung des Kindes durch gezielte ART inzwischen fast immer verhindert werden.1

Selbst-Stigma hängt mit der Stigmatisierung durch die Gesellschaft zusammen oder damit, wie Betroffene die Bewertung von HIV-Infektionen in der Gesellschaft einschätzen (wahrgenommenes öffentliches Stigma). Eine Querschnittsstudie in den Niederlanden befragte 1 704 Menschen mit HIV zu wahrgenommenem öffentlichem Stigma, selbst erlebtem Stigma (z. B. konkrete Ausgrenzung aufgrund der HIV-Infektion) und Selbst-Stigma. Sowohl Selbst-Stigma als auch wahrgenommenes öffentliches Stigma beeinflussten den offenen Umgang mit der Infektion und belasteten die Lebensqualität, wie Depression und Ängste, sexuelle Probleme, Schlafschwierigkeiten, Selbstwertgefühl und die allgemeine Gesundheit zeigten. Die soziale Unterstützung förderte dagegen die Lebensqualität. Im Umgang mit der HIV-Infektion kann demnach hilfreich sein, offen mit engen Freunden oder Familienangehörigen zu sein, Fragen mit fundierter Information zu begegnen und sich eventuell in Selbsthilfegruppen auszutauschen.2

Stigma durch Betroffene selbst und die Gesellschaft: Offenheit und Information können helfen

Manche Menschen mit HIV-Infektion können auch das Verhalten ihrer behandelnden Ärzte als stigmatisierend empfinden, zeigte die Literaturübersicht.1 Eine bestätigte HIV-Infektion wird durch das testende Labor an das Robert Koch-Institut gemeldet, um die Zahl der Infektionen und ihre Entwicklung in einer Region oder dem Land besser zu beurteilen. Diese Meldung erfolgt ohne Namensnennung und schützt somit die Privatsphäre des Patienten.4 Viele Sicherheitsmaßnahmen in der Praxis sind zudem aus klinischer Sicht einfach der professionelle Standard im Umgang mit jedem Patienten und möglichen Infektionserkrankungen, ohne gezielt gegen HIV gerichtet zu sein. Wird dies von Patienten anders wahrgenommen, kann es sich lohnen, den behandelnden Arzt gezielt auf sein Verhalten und die Gründe hierfür anzusprechen. HIV-Ärzte sind zudem gute Ansprechpartner, die mit Rat und Tat helfen können, wenn das Thema HIV im Umgang mit Freunden, Familie oder im Beruf für Probleme sorgt.

Referenzen

1. Arias-Colmenero T, Pérez-Morente MÁ, Ramos-Morcillo AJ, Capilla-Díaz C, Ruzafa-Martínez M, Hueso-Montoro C. Experiences and Attitudes of People with HIV/AIDS: A Systematic Review of Qualitative Studies. Int J Environ Res Public Health. 2020 Jan 19;17(2):639. doi: 10.3390/ijerph17020639. PMID: 31963822; PMCID: PMC7014086. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31963822/

2. Scheerder G, Van den Eynde S, Reyntiens P, Koeck R, Deblonde J, Ddungu C, Florence E, Joosten C, Van Wijngaerden E, Dewaele A. Quality of Life in People Living With HIV: An Exploratory Cross-Sectional Survey in Belgium. AIDS Educ Prev. 2021 Jun;33(3):249-264. doi: 10.1521/aeap.2021.33.3.249. PMID: 34014109. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34014109/

3. van der Kooij YL, Kupková A, den Daas C, van den Berk GEL, Kleene MJT, Jansen HSE, Elsenburg LJM, Schenk LG, Verboon P, Brinkman K, Bos AER, Stutterheim SE. Role of Self-Stigma in Pathways from HIV-Related Stigma to Quality of Life Among People Living with HIV. AIDS Patient Care STDS. 2021 Jun;35(6):231-238. doi: 10.1089/apc.2020.0236. PMID: 34097466; PMCID: PMC8215416. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34097466/

4. Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG). Deutsch Oesterreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV 1 Infektion. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. AWMF-Register-Nr.: 048-011. Im Internet: (Stand: 06.04.2020) https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien

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