Abnehmspritze: Diabetes-Medikament zur Gewichtsabnahme?

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Zusammenfassung
Besonders in den sozialen Medien sind sie beliebt: Abnehmspritzen, die überschüssige Kilos dahinschmelzen lassen sollen. Die Wirkstoffe in diesen Abnehmspritzen – hauptsächlich Semaglutid – sind verschreibungspflichtig und wurden ursprünglich für die Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt. Sie sind erst seit kurzem für die Behandlung von starkem Übergewicht zugelassen. Wer Abnehmspritzen anwendet, kann dies zum einen nur unter ärztlicher Beobachtung tun und muss zum anderen mit einigen Nebenwirkungen rechnen.
Was ist die Abnehmspritze?
In Deutschland sind insgesamt drei Wirkstoffe für die Gewichtskontrolle unter ganz bestimmten Voraussetzungen zugelassen: Orlistat, Liraglutid, und Semaglutid. Orlistat ist bereits seit 1998 für die Therapie von Adipositas zugelassen, wird als Kapsel eingenommen und hemmt zum Teil die Fettaufnahme aus der Nahrung im Magen und oberen Dünndarm. Die anderen beiden Wirkstoffe waren ursprünglich alternative Behandlungsmethoden für die Therapie von Diabetes mellitus, wurden aber mittlerweile zusätzlich zur medizinisch betreuten Gewichtsreduktion zugelassen. Da sowohl Liraglutid als auch Semaglutid gespritzt werden, sind diese beiden Wirkstoffe gemeint, wenn von Abnehmspritzen die Rede ist.
Sowohl Liraglutid als auch Semaglutid ahmen die Wirkung eines körpereigenen Hormons nach, des Glucagon-like-Peptids 1 (GLP-1). Sie stimulieren die Ausschüttung des blutzuckersenkenden Stoffs Insulin. Neben ihrem Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel im Körper verzögern sie die Entleerung des Magens und verringern den Appetit. Dadurch können sie zur Gewichtsabnahme beitragen.
Die Wirkstoffkombination Naltrexon/Bupropion zur Appetitzüglung kam im Jahr 2014 auf den deutschen Markt, aufgrund der starken Nebenwirkungen befindet sich das Präparat seit September 2023 jedoch in erneuter Überprüfung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA).
In den USA hat die Arzneimittelbehörde FDA bereits zwei weitere Medikamente zur Gewichtskontrolle zugelassen. Beide enthalten den Wirkstoff Tirzepatid, der ebenfalls wie Semaglutid in den Insulinhaushalt eingreift und einmal wöchentlich gespritzt werden muss. In Deutschland ist Tirzepatid bereits zur Therapie des Diabetes mellitus zugelassen, und die EMA hat sich im November 2023 für eine Erweiterung der Zulassung ausgesprochen. Deshalb könnte Tirzepatid zukünftig auch in Europa eine Option zur Gewichtsreduktion bei Adipositas sein.
Wann kann die Abnehmspritze helfen?
Liraglutid und Semaglutid sind für die Therapie von Adipositas zugelassen. Als Adipositas bezeichnet man starkes Übergewicht mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m2 oder mehr.
Die hier besprochenen Wirkstoffe dürfen zur Behandlung der Adipositas bei den folgenden Personengruppen eingesetzt werden:
- Erwachsene mit einem BMI ≥ 27 kg/m² plus Begleiterkrankung wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck
- Erwachsene mit einem BMI ≥ 30 kg/m² ohne Begleiterkrankungen
- Jugendliche ab zwölf Jahren mit Adipositas und einem Körpergewicht über 60 kg
Dies bedeutet ebenfalls, dass Liraglutid und Semaglutid nur nach ärztlicher Verschreibung und nur in besonderen Fällen zum Einsatz kommen. Eine schnelle Gewichtsreduktion um wenige Kilogramm ist ausdrücklich nicht das Einsatzgebiet dieser Wirkstoffe.
Fachleute empfehlen die medikamentöse Behandlung von Übergewicht außerdem normalerweise nur, wenn alle anderen Optionen bereits ausgeschöpft wurden. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Betroffene innerhalb von sechs Monaten der Behandlung weniger als fünf Prozent ihres Ausgangsgewichts verlieren oder sich bei ihnen ein JoJo-Effekt eingestellt hat und sie nach anfänglicher Gewichtsabnahme mehr als fünf Prozent ihres Ausgangsgewichts zugenommen haben.
In allen Fällen kommt eine Abnehmspritze nur gemeinsam mit anderen Maßnahmen zur Gewichtskontrolle zum Einsatz, beispielsweise einer Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie oder einem Programm für gesunde Bewegung.
Eine Vergleichsstudie zeigte, dass Menschen ohne Diabetes mellitus nach 68 Wochen Liraglutid-Therapie einen Gewichtsverlust von etwa 6,4 Prozent ihres Körpergewichts erreichten. Mit Semaglutid waren es 15,8 Prozent.
Wie wird die Abnehmspritze eingesetzt?
Sowohl Liraglutid als auch Semaglutid spritzen sich Betroffene in das Fettgewebe direkt unter der Haut – normalerweise in eine Hautfalte am Bauch, Oberarm oder Oberschenkel. Dabei sollte das Medikament weder in den Muskel noch in eine Ader gelangen. Die Verabreichung erfolgt dabei unabhängig von den Mahlzeiten. Während Liraglutid täglich angewendet werden muss, verbleibt Semaglutid wesentlich länger im Körper und muss so nur einmal pro Woche injiziert werden.
Die beiden Wirkstoffe sind in Form von Fertig-Pens erhältlich, die das Spritzen vereinfachen sollen. Um Reizungen und andere Reaktionen an der Injektionsstelle zu vermeiden, sollten Nutzende die Einstichstelle regelmäßig wechseln. Außerdem ist es ratsam, Narben, entzündete Bereiche, Muttermale und andere auffällige Stellen auszusparen.
Die Behandlung mit Semaglutid oder Liraglutid findet ausschließlich unter ärztlicher Kontrolle statt, und die Effektivität wird regelmäßig überprüft.
Fälschungen und Einsatz ohne Rezept
Insbesondere durch die sozialen Medien wurde hauptsächlich Semaglutid als Lifestyle-Medikament zur schnellen und einfachen Gewichtsabnahme bekannt. Diese Fehlinformation und der Hype führten in den USA, wo das Medikament früher auf den Markt kam, teilweise zu Lieferengpässen. Das wiederum sorgte dafür, dass Patientinnen und Patienten, die aufgrund von Diabetes mellitus auf das Medikament angewiesen waren, plötzlich Probleme hatten, ihre Therapie fortzuführen.
In Deutschland kam es zeitweise zu Lieferengpässen, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM informierte jedoch zuletzt über gefälschte Semaglutid-Pens, die sich in Deutschland und Österreich im Umlauf befinden. Dabei handelt es sich allem Anschein nach um umetikettierte Insulin-Pens, deren Einsatz außerhalb einer ärztlich verordneten Therapie lebensgefährlich sein kann. Bislang sind in Deutschland nur Fälle gefälschter Semaglutid-Pens im Großhandel bekannt, das Fachpersonal in Apotheken wird jedoch dazu angehalten, alle Chargen vor dem Verkauf genau zu prüfen. In den letzten Monaten wurden jedoch keine weiteren Hinweise entdeckt, dass sich weitere Fälschungen im Umlauf befinden. Dieser Erfolg lässt sich dank securPharmverzeichnen, da so die Abgabe gefälschter Arzneimittel sicher verhindert werden konnte. Es wurde also beschlossen, dass die bisherige Anforderung die Chargen vor Abverkauf genau zu prüfen aktuell nicht mehr notwendig ist.
Welche Risiken bestehen bei der Abnehmspritze?
Da die beiden Wirkstoffe die Magenentleerung verlangsamen, kann dies die Wirkung anderer Medikamente, die oral eingenommen werden, beeinträchtigen. Dazu zählt beispielsweise der Blutgerinnungshemmer Warfarin.
Die häufigsten Nebenwirkungen betreffen bei beiden Wirkstoffen den Verdauungsapparat und treten bei einem Großteil der Behandelten auf. Bei Semaglutid sind das beispielsweise:
- Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen, Verstopfungen
- Hautreaktionen an der Einstichstelle
- erhöhte Amylase- und Lipasewerte
- Gallensteine
- Erschöpfungssyndrom (Fatigue)
- Schwindel
- Geschmacksstörungen
Während der Zulassungsstudie brachen etwa sieben Prozent der behandelten Personen die Therapie mit Semaglutid aufgrund solcher Nebenwirkungen ab. In der Vergleichsgruppe waren es drei Prozent. Im schlimmsten Fall sind jedoch schwere bis lebensbedrohliche Nebenwirkungen durch die Einnahme von Semaglutid möglich. Dazu zählen unter anderem eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis), niedriger Blutzucker (Hypoglykämie) und Nierenprobleme bis hin zum Nierenversagen. Außerdem scheint Semaglutid das Risiko für die Entstehung von Schilddrüsentumoren zu erhöhen.
Bei der Behandlung mit Liraglutid kam es unter anderem zu den folgenden Nebenwirkungen:
- Übelkeit und Durchfall (sehr häufig),
- Kopfschmerzen, Entzündungen der Nasen- und Rachenschleimhäute (Nasopharyngitis) sowie Hypoglykämien (häufig)
- Erbrechen und Bauchschmerzen (seltener)
Die Nebenwirkungen ließen oft im Verlauf der Behandlung mit Liraglutid nach. Schwere Nebenwirkungen wie eine akute Pankreatitis traten nur sehr selten auf.
Eine Studie, die Semaglutid und Liraglutid verglich, kam zu dem Schluss, dass 13,5 Prozent der Teilnehmenden die Behandlung mit Semaglutid abbrachen, während es bei Liraglutid 27,6 Prozent waren. Da die Häufigkeit der gastrointestinalen Nebenwirkungen mit 84,1 Prozent und 82,7 Prozent vergleichbar waren, vermuten die Autorinnen und Autoren der Studie, dass die länger dauernde und als anstrengender empfundene Phase der Dosiserhöhung bei Liraglutid zu mehr Studienabbrüchen geführt hat.
Was ist bei der Abnehmspritze zu beachten?
Weder Liraglutid noch Semaglutid können Insulin als Medikament zur Behandlung von Diabetes mellitus ersetzen. Insbesondere bei gleichzeitiger Einnahme von Sulfonylharnstoffen oder Insulin besteht außerdem das Risiko von Unterzuckerungen (Hypoglykämie). Menschen mit Herzinsuffizienz wird die Einnahme von Liraglutid oder Semaglutid nicht empfohlen.
Da das Absetzen der Wirkstoffe zu einem Wiederkehren des Appetits führt und der Zuckerstoffwechsel so abläuft wie vor der Therapie, kommt es nach dem Absetzen im Normalfall zu einer erneuten Gewichtszunahme. Daher ist für die erfolgreiche Gewichtskontrolle eine dauerhafte Therapie notwendig.
Die Wirkstoffe wurden bisher nicht in Langzeitstudien getestet. Inwiefern die dauerhafte Therapie erfolgreich ist oder ob es im Verlauf der Behandlung zu weiteren Nebenwirkungen kommt, ist daher noch nicht geklärt.
„Ozempic-Babys“
Es wird vermehrt über „ungewollte“ Schwangerschaften während einer Therapie mit dem Wirkstoff Semaglutid berichtet. Fakt ist jedoch, dass Semaglutid während einer Schwangerschaft abgesetzt werden muss. Sollte ein Kinderwunsch bestehen, muss der Wirkstoff mindestens zwei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abgesetzt werden.
Veröffentlicht am: 12.11.2025
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Quellen
[1] Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG): Patientenleitlinie zur Diagnose und Behandlung der Adipositas (Stand: 1/2019). https://register.awmf.org/assets/guidelines/050-001p_S3_Adipositas_Pr%C3%A4vention_Therapie_2019-01.pdf
[2] Gelbe Liste Pharmindex. Orlistat. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Orlistat_5001
[3] Gelbe Liste Pharmindex. Liraglutid. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Liraglutid_50661
[4] Gelbe Liste Pharmindex. Semaglutid. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Semaglutid_55565
[5] European Medicines Agency (EMA). Mounjaro - opinion on variation to marketing authorization. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/variation/mounjaro
[6] Stiftung Gesundheitswissen. Liraglutid - Wie gut hilft das Medikament beim Abnehmen? https://stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/adipositas/kann-das-medikament-liraglutid-bei-der-behandlung-von-adipositas-helfen
[7] Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG). Adipositas-Medikamente – Antworten auf häufige Fragen. https://adipositas-gesellschaft.de/adipositas-medikamente-fragen-und-antworten/
[8] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Fälschung des Arzneimittels Ozempic®. https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelinformationen/Rapid-Alert-System/Arzneimittelfaelschungen/Ozempic/_artikel.html?nn=468782
[9] Rubino DM et al. Effect of Weekly Subcutaneous Semaglutide vs Daily Liraglutide on Body Weight in Adults With Overweight or Obesity Without Diabetes: The STEP 8 Randomized Clinical Trial. JAMA. 2022;327(2):138-150.
[10] Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD). Leitfaden zur Injektion bei Diabetes mellitus. https://www.vdbd.de/fileadmin/portal/redaktion/Publikationen/170621_VDBD-Leitfaden_Injektion_2016_Web.pdf
[11] „Ozempic-Babys“: Sicher verhüten unter Semaglutid https://www.ptaheute.de/aktuelles/2024/05/23/ozempic-babys-sicher-verhueten-unter-semaglutid
[12] Aussagekraft des Body-Mass-Index ist begrenzt https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/140448/Aussagekraft-des-Body-Mass-Index-ist-begrenzt
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